Gefühl Wissen und Erfahrung

 

Gefühl, Wissen und Erfahrung

Zur Malerei des Hardy Döhrn

von S. D. Sauerbier,  Professor an der Kunsthochschule Berlin, sd@sauerbier.at
Katalogtext zur Ausstellung "BildModelle-ModellBilder" in der Galerie Rath, Köln 1989

„Kunst ist nicht für alle da“, war in einer „Zeitung für Deutschland“ zu lesen. Gewiß ist Kunst für alle da - leider sind nicht alle für die Kunst da. Möglichst viele Betrachter möchte der Maler Döhrn erreichen - und deswegen bietet er ihnen etwas zum Wiedererkennen an. Kunst verlangt heute vielfach Vorwissen, ist oftmals kommentarbedürftig. Grammatik und Syntax der „öffentlichen Bilder“ lernen wir aber ohne weiteres bei unserer lebenslangen Erziehung - auf solches „Volksvermögen“ stützt sich Döhrn - er rechnet zwar mit den Erfahrungen der Massen mit den Medien und will „dem Betrachter etwas bieten, was er kennt“, doch besteht er auf jener Qualität, die nicht am Bildschirm oder in Illustrierten frei Haus geliefert wird, sondern nur vor der bestimmten Arbeit zu erfahren ist: etwa die stoffliche Wirkung des Malmaterials.

„Das einzige, was wirklich ist: der Zettel, den ich in der Hand habe und von dem ich abmale. Was auf dem Zettel drauf ist? Schon wieder eine Fiktion!“ Wirklichkeit erfahren wir nie unmittelbar: Was wir auch sehen, wir nehmen es nur vermittelt wahr. Alles, womit wir um- gehen, muß zuvor durch Vermittlung in unseren Kopf gebracht werden. Unsere Wirklichkeit: ein Konstrukt. Zur Wahrnehmung der Realität sind uns zwar gewisse Indizien gegeben, die wir zu Mustern, Bildern zusammensetzen und nur ausnahmsweise für sich wahrnehmen. Würden wir jedes einzelne Wahrnehmungsdatum neu abspeichern müssen - wir würden schier wahnsinnig, alsobald irre.

Abstraktion und Ähnlichkeit: Die Gemälde haben alles mögliche mit ihren Sujets gemeinsam  - aber wo hat ein dargestellter Gegenstand  selbst eine Umrißlinie - es sei den wir nehmen eine Abbildung als Bildvorlage und nicht ein „außerweltliches Objekt“. Auf einem Bild vermeinen wir einen Kopf zu sehen - wenige Schlaglichter sind es - , unsere Wahrnehmung und ihre ‘Verarbeitung ergänzen das Volumen.

„Wirklichkeit - was das ist, ich weiß ich nicht“, sagt der Maler, „ich sehe ihre Symptome -und die male ich“. In seinen Bildern legt er verschiedene Ebenen übereinander. Eine Vorzeichnung wird nach projizierten Fotovorlagen gefertigt. In nasse Farbe  arbeitet er hinein, spachtelt; Pinselstriche in grobem Duktus werden zu „Zeichen“ gebündelt. „Die Farbe soll ihrem Aggregatzustand folgen: wenn sie flüssig ist, darf sie ablaufen“. Zunächst aber zu den Bildvorlagen, die Döhrn seine  „Sujets“ nennt. Vorbereitet werden dafür Fotokopien von Fotografien von eigenen und fremden Fotografien, Werbeanzeigen, Graffitti. Der Maler bringt  nach Projektion die Proportionen des Sujets mit groben Pinselstrichen auf die Leinwand, er arbeitet direkt in die Projektion, mit Flächenformen, nicht graphisch-linear.

Offensichtlich hat ein jeder Muster der Wahrnehmung und Schemata für ihrer Integration im Kopfe - beim schöpferischen Menschen sind Leerstellen vorhanden, in die er einen visuellen Inhalt „einpaßt“, sobald er bemerkt wird. Auf welche Sorte von Mustern  oder Schemata nimmt Döhrn in seiner Malerei Bezug? Seine Bildvorlagen oder „Sujets“ arrangiert Döhrn nicht  - wenn er eigene Fotos benutzt; er dokumentiert eine visuelle Situation in der Hoffnung, dabei auch die Stimmung des Moments mit einzufangen. Döhrn hält sich an Picasso`s Wahlspruch: „Ich suche nicht - ich finde“. Der Maler hat Vorlieben für bestimmte Bildschemata, die ihm auffallen; oft sind es Zuordnungen in Reihenform, Serien-Konstellationen. Seine „Sujets „ setzt er mitunter zusammen, nimmt solche, die „von Natur aus garnicht zusammenpassen können“, und fügt sie in seinen Bildern mit der Absicht der Fremdbereitung zueinander. Einerseits sind die Vorlagen durch vertraute Sehweisen bestimmt, die „Sujets“ hat der Maler Prospekten oder Zeitschriften entnommen - der Widerspruch soll verhindern, daß der Betrachter sich sofort im Bildsujet zurechtfindet. Döhrn will Anlaß und Anreiz geben, den Dingen auf die Spur zu kommen.

Der Maler legt aber dem Bildbetrachter  einen Zusammenhang schon durch die Auswahl der „Sujets“ nahe. Er läßt zwar ein unverbundenes Nebeneinander innerhalb eines einzigen Bildes stattfinden;  er will aber keine Verrätselungen , kein Inszenierungen. Eine fast reflexartige, sozusagen automatisierte  Verhaltensweise führt den sehenden Menschen dazu, zwischen den gesehenen Dingen einen Zusammenhang zu stiften -  wenn er ihn schon nicht entdecken kann.

Wir vermeinen Zusammenhänge zu entdecken, wo es oftmals gar keine gab, wo wir selbst sie erst hergestellt haben. Offensichtlich müssen wir beim Sehen immer etwas identifizieren, sozusagen ein Muster ins Chaos hineinlegen, das wir projizieren: Bei Döhrn hat das eine doppelte Bedeutung.

Verwechselungen der Realitäten der Abbildung mit dem Abgebildeten sind im Alltag häufig. Auch sagt man in der Alltagssprache; etwas stelle etwas dar, und meint damit: Das-und das  ist das - und das. Etwas wird präsentiert und repräsentiert noch nicht etwas (anderes). Viele erwarten oder unterstellen immer noch Abbildlichkeit in der Malerei, und dazu regredierte die Malerei der „Neuen Wilden“, dieser Neander-Maler. Der naiven „Unterstellung im Vorhinein“ des Betrachters gibt Döhrn zunächst bereitwillig nach: Das Sujet ist als  Abbildung erkennbar. Resultate „arbeitender“ Farbe, von Farb-Ereignissen werden indes vorgezeigt; und statt von Darstellen sollte mit Blick auf die Resultate eher von Hinstellen oder Zurschaustellen gesprochen werden.

Der Maler gibt vor, keine Botschaft zu haben - gleichwohl „ist in den Sujets etwas drin“, was ihn zur Frage veranlaßt, warum er gerade dieses und kein anderes genommen hat. Die Wieder-kehr dessen, was das Sujet enthält , ist dem Maler oft gar nicht angenehm, er stellt es fest, kann es indes nicht erklären. Aber intuitiv, aufs Sinnlich-Sichtbare bezogen verbindet er damit  Gefühl, Wissen und Erfahrung.  Nun mag auch der Betrachter an die Bilder Kenntnisse, Vermutungen oder Unterstellungen herantragen, die der Maler nicht kontrollieren kann. „Soviel Freiraum“, sagt Döhrn, „soviel Komplexität und Nichteindeutigkeit muß das Bild bieten, daß Betrachter ihrer Projektionen auf das Bild werfen können, um dann etwas von sich wiederfinden zu können“.

Stil zu entwickeln, daran liegt Döhrn nichts, Stil empfindet er als Einengung - andererseits wird damit  aber Konzentration auf Wesentliches gefordert, was den Künstler in der Malerei beschäftigt. Die Art und Weise, mit Farbe umzugehen - daran möchte Döhrn stilistische Fragen knüpfen. Stillosigkeit als Stilprinzip hält er für Ausrede; Zitieren bis zum Plagiieren hin  - eine Solche Haltung sei sehr bequem; alles und jegliches zu tun oder zu lassen sei so legitimiert. “Wenn alles gleich gültig ist - dann ist der Inhalt dennoch nicht gleichgültig geworden. Die Gefahr der Beliebigkeit - die Leute machen dauernd einen Balanceakt, viele stürzen eben auch ab“. Interessiert ist er dem entgegen mit der Auseinandersetzung mit „malerischen Inhalten. Sprunghaftigkeit ist für Döhrn ein Zeichen für Schwäche, Anzeichen dafür, nicht bei der Sache bleiben zu können - dagegen setzt er die Logik der Entwicklung.
Statt Stil bevorzugt der Maler die Sprache des Materials. Kommt Kunst immer von Kunst? Malen ist eine Weise der Stellungnahme zu dem, womit man sich sinnlich-sichtbar auseinandersetzt was man schätzt oder was man ablehnt. Unausgesprochen geben die Bilder Kommentare  zu anderen Bildern ab - sie sind nicht bloße Selbstkundgabe des Malers. Wie abhängig ist er aber von dem, was er kommentiert, zusammenstellt, persifliert, variiert? Verneinende Gesten der Antikunst bis zur negativen Fixierung sind ja bekannt. So autonom sind viele der vorgeblich kritischen Bilder  gar nicht.

Ist das Antikunstwerk erstmal in einer Sammlung gelandet, hat sich die Substanz oft verbraucht - welche Substanz hat es außer der Negation? Döhrn schätzt Malerei, die an seine Person, an sein Sensoriom  gebunden ist. Er hält sich für ein Medium: „ die Struktur, durch die Wahrnehmung hindurchgehen muß; auch die Ausführung ist von dieser Vorstellung bestimmt“. Aus einem Vokabular entnommen seien seine Pinselstriche, sagt Döhrn. Mit dem Duktus, in einer Aktionsspur, im Relikt der Malhandlung will er Empfindungen und  Befindlichkeiten festhalten, die alle von der Situation abhängig sind. Die Interpretation überläßt er anderen - der Zusammenhang mit der eigenen Person ist ihm da wichtiger. Der Widerpart zum völlig Persönlichen, des Individuums als Medium ist die Farbe - sie soll ihre „natürliche Beschaffenheit“ sichtbar machen:

Der Maler betont die Stofflichkeit der Farbe, er arbeitet mit ihrer Substanz und läßt die Substanz der Farbe arbeiten. Das Instrument, die Mittel zu beherrschen, ist eine Seite - ihnen Freiheiten zu lassen, die Farbe sich selbständig entfalten zu lassen, ist die andere. Reine Farben lehnt er ab. “Man muß die Farbe beschmutzen“, ist sein Wahlspruch. Farben bringt er in gestischer Weise auf die Leinwand auf, oft auch in mehrfacher Überdeckung. Der Maler arbeitet mit dem Anziehen und Abstoßen von Wasser und Öl; es entsteht eine Bildebene, die ganz vom Stofflichen und der Art der verwendeten Malwerkzeuge diktiert ist.

Die Bildentstehung faßt der Maler als Regelkreis auf: während er malt, werden ihm unerwartete Signale von der „arbeitenden“ Farbe gegeben. Als seine Schwierigkeit bezeichnet Döhrn, den glücklichen Moment zu erwischen, an dem das Bild beendet ist.

 

 

Zur Ausstellung im Ballhaus

Eröffnungsrede von Dr. Hans-Werner Schmidt, Kunsthalle Düsseldorf

Teilnehmer: Sighard Gille, (Leipzig), Peter Könitz, Hardy Döhrn, Reiner Roemer, u.a.
Eröffnung: 6. Juni 1990

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie sehr herzlich zur Ausstellungseröffnung im Ballhaus begrüßen. Die Ausstellung hat keinen Titel, die Gruppe der Künstler ist keine Gruppe, der Ort der Ausstellung ist außerhalb des eingespielten Kunstbetriebes - der in Düsseldorf oft zitierten Achse. Also: Wie soll ich anfangen? Ich habe folgenden Einstieg gewählt:

Das Künstlerfreundschaftsbild war u. a. in der Romantik ein vertrautes Thema. Das Bild der Künstlergruppe konnte als Demonstration gemeinsamer Zielvorstellungen gesehen werden, als Ausdruck freundschaftlicher Bande oder einfach als Dokument geselligen Zusammenseins. In Düsseldorf wohlbekannt ist ein Freundschaftsbild aus der Zeit des Jungen Rheinland - das von Arthur Kaufmann im Kunstmuseum Düsseldorf, das die Künstler im geselligen Kreis um Mutter Ey zeigt. Das Künstlerfreundschaftsbild ist heute - so wie ich es hier beschrieben habe - kein selbstverständliches künstlerisches Thema mehr.

Ich frage mich: Ist die von Künstlern organisierte Ausstellung  mit eingeladenen Künstlerkollegen aus anderen Städten oder anderen Ländern an die Stelle des traditionellen Künstlerfreundschaftsbildes getreten und ist eine Ausstellung wie diese, die wir heute abend eröffnen als Gesamtszenarium auch einKünstlerfreundschafts-bild? Lassen Sie mich die Künstler vorstellen, die an diesem Ausstellungsbild teilnehmen, ich will sie nicht nur beim Bild, sondern auch beim Wort nehmen:

Hardy Döhrn schreibt in einem Statement zu eigenen Arbeit: „ Konkurrieren mit den ständig um einen kreisenden Bildern “. Ohne die Medienwelt hier aufzählen zu wollen, reicht der Blick auf den TV-Schirm. Durch laufendes Umschalten via Fernbedienung kann man aus einem Angebot von ca. 20 Sendern  seine eigene szenische Addition, seinen eigenen Film arrangieren.

Oder: die sogenannte Menu-Palette zeigt in einem Mosaik 20 Programme parallel. Des weiteren: Es gibt TV-Modelle, die auf drei Zusatz-Kleinbildschirmen entsprechend den persönlichen Vorlieben zum Hauptprogramm drei Parallelprogramme zeigen. Schließlich das US-Fernsehen, dessen Programmstruktur man als zerstückeltes Collageprinzip beschreiben könnte. Angesichts dessen scheint die Leinwand als Informationsträger hoffnungslos überfordert, es sei denn, man sieht in ihr den bildasketischen Gegenpol.

Hardy Döhrns Reaktion auf die konkurrierenden Bilder ist ambivalent. Er läßt sich zum einen darauf ein. So erinnert  die malerische Struktur oft an ein bildelektronisches Raster: Auch er zeigt übereinander geblendete Bildebenen, so wie sich bei ständiger Programmänderung die Szenen - ich will sagen - in der Innensicht übereinander lagern. Doch bei Döhrn bleibt ein Motiv immer dominierend, so wie das Erinnerungsvermögen an ein bestimmtes Bild dieses alle anderen überlagernd, wie durch eine Folie hindurchbrechen läßt. In dem hier gezeigten Bildkomplex Falsche Briefe passen die Bildinschriften nicht zu den bezeichneten Feldern. Wir kennen so etwas auch vom Fernsehen, wenn ein Bild und eingeblendeter Kommentar nicht zusammenpassen, was meistens zur Erheiterung beiträgt. Aber in der  Folge der hier gezeigten Falschmeldungen - man könnte schon von Lüge sprechen - tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Man nimmt es schließlich gelassen hin. Eine Gegenreaktion wäre auch, grundsätzlich dem Einklang von Wort und Bild zu mißtrauen. (......)